Profil

1 Der Erfurtplan

Die Evangelische Gemeinschaftsschule Erfurt nimmt den Jenaplan zum Vorbild, verwebt ihn didaktisch mit praktischen Elementen Montessoris, Freinets und Parkhurst zu einem neuartigen ethisch ausgerichteten Schulkonzept, das Wertevermittlung und Glaubensbildung gleichermaßen im institutionellen Rahmen einer Thüringer Gemeinschaftsschule verwirklicht. Das sich um diesen pädagogisch-didaktischen Nukleus entwickelnde praktische Schulkonzept nennen wir – 90 Jahre nach der Konferenz von Locarno, auf der im Jahre 1927 der Name Jenaplan erfunden wurde – Erfurtplan. Dieser Plan gewährt der Evangelischen Gemeinschaftsschule Erfurt in Thüringen ein Alleinstellungsmerkmal, das die Schulentwicklung freier Schulen ebenso befördern wird wie es die Entwicklung staatlicher Schulen befördern könnte. Der Erfurtplan gibt der Entwicklung der Gemeinschaftsschule zukunftsfähige Impulse und begründet demnach „ein besonderes pädagogisches Interesse“ (gemäß Artikel 7, Abs. 5 GG).

 

1. 1 Konzeptionelle Idee

Wir erweitern im Erfurtplan das Konzept des Jenaplans durch praktisch-pädagogische Elemente unserer anderen reformpädagogischen Bezugsautoren und fügen sie mit den Elementen der Pädagogik Petersens zu einem neuen konzeptionellen Ganzen zusammen. Der Erfurtplan vereinigt:

  • Petersens Bildungsgrundformen und seine altersheterogenen Stammgruppen; sein Konzept der Individualisierung und Vergemeinschaftung des Lernens;
  • Freinets Ateliers- und Korrespondenzklassen, den Klassenrat und die mit ihm verbundene Schuldemokratie als Lebensform der Schulgemeinde im Sinne John Deweys;
  • Montessoris Sinnes- und Lernmaterialien, ihr Konzept der (Lern-)Hilfe zur (Lern-)Selbsthilfe und ihr Professionscredo des Lehrers als „Diener des Kindes“;
  • Parkhurst und ihr Daltonplan, das Konzept der Selbstverantwortung der SchülerInnen für ihren eigenen Lernprozess, das verbunden ist mit der Möglichkeit, Lerninhalte und -formen als SchülerIn selbst zu wählen.

In einem zweiten Schritt orientieren wir den Erfurtplan an ausgewählten Kriterien des Deutschen Schulpreises:

  • Unterricht fokussiert auf Schülerleistung;
  • Umgang mit Vielfalt bestimmt den Unterricht und das Schulleben;
  • eine hohe Unterrichtsqualität wird durch schulinternes Monitoring überwacht;
  • das Lernen geschieht praxisnah und leitet zur Selbsttätigkeit an;
  • Schüler übernehmen Verantwortung für ihr Handeln;
  • das Schulleben ist durch wechselseitige Wertschätzung von Schülern und Lehrern gekennzeichnet und zeichnet sich durch eine gelebte Demokratie aus;
  • die Schule versteht sich als lernende Organisation;
  • die Schule ist mit ihrer Umwelt vernetzt.

Die für den Erfurtplan und somit für die Entwicklung der Evangelischen Gemeinschaftsschule Erfurt grundlegende These lautet: Der Jena-Plan, der Daltonplan, die Pädagogik Montessoris und Freinets stellen noch heute die praktisch-pädagogischen Mittel bereit, um Schulen in Richtung auf die Kriterien des Deutschen Schulpreises didaktisch und institutionell zu entwickeln. Sie ermöglichen es auch im 21. Jahrhundert, Kinder und Jugendliche mit verschiedenen Begabungen und Bedürfnissen in einer Gemeinschaft zu fördern und zu fordern.

 

1. 2 Evangelisches Leitbild und demokratisches Schulprofil 

Die Evangelische Gemeinschaftsschule Erfurt berücksichtigt, dass sich Leben in Freiheit und Beziehung entwickelt. Diese Freiheit ist eng verbunden mit Verantwortung: für mich selbst, für andere Menschen und für die Verantwortung vor Gott. Freiräume sind Räume für Verantwortung, persönliche Beziehungen geben Geborgenheit. In Erfahrung und Gewissheit des eigenen Wertes und im Vertrauen auf Gott gelingt Leben im Kontext von Glauben und Lernen.

Der Grundsatz christlicher Bildung, die Ehrfurcht vor Gott und die immerwährende Achtung vor der Schöpfung, wird im Schulprofil der Evangelische Gemeinschaftsschule Erfurt mit den demokratischen Leitmotiven „Selbstständigkeit durch Selbsttätigkeit“ sowie „Freiheit durch Verantwortung“ verknüpft. Diese Verknüpfung geschieht ohne die Absicht einer wechselseitigen Instrumentalisierung, aber unter Verweis auf zwei Berührungspunkte. Glaube und Demokratie berühren sich zum einen in der unbedingten Achtung vor der Würde des Menschen und zum anderen in der Verantwortung für die gemeinsamen Lebensgrundlagen. Diese Berührungspunkte werden sichtbar, wenn man, wie der Bildungs- und Demokratietheoretiker John Dewey, Demokratie nicht nur als Staats-, sondern auch als Lebensform versteht – in der Familie, in der Schule, in der Gemeinde, in der Arbeitswelt und schließlich in der Gesellschaft. Zur Demokratie als Lebensform gehört, sowohl in den privaten als auch öffentlichen Bezügen die Freiheit menschlicher Entwicklungen und Meinungen zu achten, die Verantwortung für gemeinschaftlich gefundene Regeln des Zusammenlebens zu übernehmen und der Mut, wenn nötig, die Grenzen des Gewohnten zu überschreiten.

Für die „große“ Demokratie hat Dewey diese Prinzipien als drei gesellschaftliche Aufgaben beschrieben:

  1. als Stärkung der Selbst- und Mitbestimmung durch immerwährenden Abbau der Herrschaft des Menschen über den Menschen,
  2. als Zügelung des uneingeschränkten Individualismus durch die Anerkennung der Gesellschaftlichkeit von Erziehung und
  3. als Überwindung des staatlichen Partikularismus durch ein Streben nach zunehmender Weltdemokratie.

Für die „kleine“ Demokratie im Wachsen und Werden, für die Schule, lassen sich diese Aufgaben bestimmen als Entwicklung und Aufrechterhaltung einer Schulkultur, in der sich Schüler, Eltern, Lehrer, Erzieher und Mitarbeiter in ihren unterschiedlichen Rollen wechselseitig wertschätzen. Das erfordert Respekt voreinander und Achtung vor den gemeinsam gefundenen Regeln des Schullebens, solange diese Regeln nicht gemeinschaftlich hinterfragt werden. Für dieses Prinzip hat Célestin Freinet schon für die Primar- und Sekundarstufe den Klassenrat erfunden, in dem die gemeinsamen zu regelnden Angelegenheiten der kleinsten Schülergemeinschaft, der Stammgruppe, von den Kindern selbstständig diskutiert und geregelt werden. Aus dem Klassenrat gehen die Klassensprecher, aus diesen das Schülerparlament und die Schulsprecher hervor. Unabdingbar sind aber auch die Demokratie der Lehrer- und Pädagogen-Gremien sowie die Demokratie der Elternvertretungen, die schließlich zusammen mit den Schülervertretungen ihre letzte Verbindung in der Schulkonferenz finden.

Evangelisches Leitbild und demokratisches Schulprofil der Evangelischen Gemeinschaftsschule Erfurt lassen sich mit folgenden Grundsätzen zusammenfassen:

  • Wir sind christlich, lebenspraktisch und kulturell.
  • Wir leben christlichen Glauben und Werte in offener Verantwortung.
  • Wir fördern und fordern individuell und erkennen gemeinsam die Welt.
  • Wir gewährleisten durch Projekt und Werkstattunterricht eine lebensnahe Bildung.
  • Wir geben uns Raum zum Leben und für selbsttätiges, selbstständiges Lernen.
  • Wir lernen und leben Demokratie in Vielfalt und Offenheit.
  • Wir sind offen für das Schulumfeld und beziehen Interessierte aktiv ein.
  • Wir pflegen eine konstruktive Konfliktkultur und fördern den Gemeinschaftssinn.